Hausschrift (Corporate Font): ein teurer Luxus?

Oder nicht doch ein Gebot der Stunde?

Als Dienstleister ist mir das Thema »Hausschrift« in größeren Unternehmen wohlbekannt. Ebenso die Strategien einzelner Abteilungen, den Zwang zu einer solchen zu umgehen. Oft findet sich dann der kleinste gemeinsame Nenner: Arial. Nicht nur weil ich Typographie schon lange zu meinen Hobbys zähle, bedauere ich den Rückzug auf diese neutrale Allerweltsschrift. Aber woran scheitert nur allzu oft der Einsatz einer Hausschrift? In den letzten Jahren in aller Regel daran, dass die Entscheider (bzw. deren Berater) bei der Auswahl nicht an multilinguales Publishing gedacht haben. Und weil es von der eigentlichen Hausschrift keine kyrillische Fassung gibt, nimmt man eben Arial – pragmatisch, aber nicht schön!

Was spricht gegen die Verwendung von Systemschriften?

Neben der Beliebigkeit im Erscheinungsbild muss man sich vor Augen halten, dass die mit Windows (und anderen Betriebssystemen) gelieferten Schriften auch einer Versionierung unterliegen. Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass auf zwei PCs zwar gleichnamige Fonts, aber in irgendwelchen nicht sehr gründlich dokumentierten Details unterschiedliche Versionen existieren. Inwieweit das im Laufe der Produktion problematisch wird, lässt sich nicht vorhersagen.

Welchen Anforderungen muss eine Hausschrift genügen?

Multilinguales Publishing ist das Thema. Es reicht heute nicht mehr nur an die heimischen Druckerzeugnisse zu denken. Spätestens seit den letzten EU-Erweiterungen sind Osteuropa und Russland ein Thema für immer mehr Firmen. Und auf die Herausforderung, nun auch Texte in Polnisch (mit Ł, Ę, Ą), Slowakisch (mit Ď, Ŕ, Ť) oder Russisch (mit Щ, Я, Й) zu setzen ist man nicht gut vorbereitet. Schon Griechisch (Δ, Θ, Ξ) oder Türkisch (Ğ, İ, Ş) stellen viele Fonts vor eine unlösbare Aufgabe. Da auch die Verarbeitung durch andere als die reinen DTP-Programme (Übersetzung, Onlinehilfe) auf der Tagesordnung steht, ist eine solide technische Basis gefragt.

Und da gibt es nur eine Antwort: Schriften im Format OpenType oder TrueType mit interner Kodierung nach Unicode sind die einzige Lösung.

Zudem sollten die vier wichtigsten Schriftschnitte über die Stil-Eigenschaften fett, kursiv und fett-kursiv mit einander verbunden sein. Dies kann auch nachgerüstet werden, wenn Sie statt der standardmäßig Bold lieber eine SemiBold als fetten Schriftschnitt verwenden wollen. Sprechen Sie mit dem Font-Lieferant!

Eine weitere Überlegung betrifft die Ziffern. Einige moderne Schriften verfügen über proportionale Mediävalziffern (mit Unterlängen: 1, 2, 3), die sich aber kaum für die technische Dokumentation eignen. Auch wenn die gewünschten Tabellenziffern über sogenannte OpenType-Features einstellbar wären, beschränkt sich der Nutzen dann auf wenige Programme und erfordert entsprechende Einstellungen. Einfacher ist es, die Tabellenziffern als Standardziffern einrichten zu lassen und die Mediävalziffern über die OpenType-Einstellungen erreichbar zu machen. Sprechen Sie mit Ihrem Font-Lieferant!

Bei den Kosten für Fonts wird oft nicht bedacht, dass die Lizenzen oft recht großzügig ausfallen. Oft darf ein Font zum Beispiel auf fünf PCs installiert werden.

Zusammengefasst als Checkliste

  • Format: □ OpenType, □ TrueType
  • Sprachen bzw. Sprachfamilien: □ Westlich, □ Osteuropa, □ Kyrillisch, □ Griechisch, □ Türkisch
  • Gewünschte Schriftschnitte: □ normal, □ fett, □ kursiv, □ fett-kursiv
  • Ziffern: □ Tabellenziffern vorhanden, □ Tabellenziffern als Standard einrichtbar

Für Schriftsysteme, die anderen typographischen Regeln gehorchen (Arabisch, Hebräisch, Chinesisch, Koreanisch, Japanisch, uvam.) werden Sie die passenden Fonts nach anderen Regeln aussuchen, denn hier sind in der Regel auch weitergehende Überlegungen zu den Werkzeugen und zum Layout anzustellen. Lassen Sie sich beraten!

Viel Erfolg!

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3 Antworten zu Hausschrift (Corporate Font): ein teurer Luxus?

  1. Dieter Gust sagt:

    Meine Empfehlung für einen Corporate Font lautet demnach etwas verstärkend:

    • Technologisch gebaut wie Arial Version 5 (Windows Vista!) insbesondere nicht wie Arial Unicode! Nun gut, es dürften auch Type 1 Glyphen sein (= Font mit otf-Endung) statt TTF wie bei Arial.
    • Zeichenabdeckung mindestens WGL 4 (siehe Wikipedia)
    • Handhabungshinweise zur Kombination mit asiatischen Schriften, besondere Beachtung der japanischen Anforderungen
    • Klare Regelung für weitere vom Font nicht abgedeckte Sprachen
    • Klare Unicode verträgliche Regelung für sonstige Sonderzeichen
  2. Ein weiterer Punkt, den es zu berücksichtigen gibt, ist die (im Falle etwa von Linotype Schriften) wahrlich teure Lizenzierung die schnell viele tausend Euro kosten kann. Kompliziert wird auch die Versorgung von OEM Kunden mit Satzdateien, die die Schriftart für ordnungsgemäßes Layout benötigen. Das ist schnell ein Rattenschwanz aus Blockaden und Verzögerungen, der ohnehin komplexe Prozesse – etwa bei der OEM-isierung von Techdoku – massiv stören und verteuern kann. Speziell bei technischer Dokumentation im B to B Bereich halte ich kommerzielle Hausschriften für einen sinnlosen, teuren und unpraktischen Hemmschuh. In Werbung und PR ist das eine ganz andere Geschichte.

  3. Ob eine Hausschrift zu den speziellen Randbedingungen einer Firma bzw. Doku-Umgebung passt, muss natürlich individuell entschieden werden. Ein Fall wie Siemens, bei dem man die bei URW verlegte Hausschrift nur als komplettes Paket (mit vielen nicht benötigten Schriftschnitten) erwerben kann, ist sicher ein Negativbeispiel.

    Es gibt aber auch Lizenzen, die den Einsatz auf z.B. fünf PCs zulassen, und wenn man dann mit drei oder vier Schnitten auskommt, bleiben die Kosten mMn in einem akzeptablen Rahmen. Das Ziel ist ja Prozesssicherheit, auch durch den Ausschluss von Zweifelsfällen, die zum Beispiel dadurch auftreten können, dass die mit Vista gelieferte Arial viel mehr Zeichen kennt, als die auf einem älteren XP-Rechner. Und wenn diese Zeichen dann z.B. von einem Autor genutzt wurden, aber auf dem Produktionsrechner gar nicht verfügbar sind?

    Wir sind uns einig darin, dass es sich rechnen muss!

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